Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen

Geschichte von Peter, 12.07.2021

Nicht Heilige helfen uns, sondern die Vernunft.

Meinen großen Bruder konnte ich manchmal nicht verstehen. Er spielte am liebsten mit Inbrunst vor seinem Altar.

Bei seinen Altarspielen hatte er herausgefunden, dass es für alles und jedes einen Schutzpatron, einen Heiligen gab, der dann half.

„Also für Bauchschmerzen die Heilige Anna, für Fieber die Heilige Radegundis und wenn man gar nicht weiter weiß, die 14 Nothelfer.“, erklärte er hochnäsig.

Ich hab das nie verstanden.

„Ich geh zu Mutter, wenn mir nicht gut ist. Die gibt mir was oder wir gehen zu Dr. Rosenfeld.“

Aber mein Bruder glaubte halt fest an seine Heiligen.

Ich sah da keinen Sinn drin, bis Folgendes passierte:

Da er viel älter war als ich, so drei Jahre, bekam er eine Zahnspange. Das ist so ein komisches Ding, was die Zähne richtig schiebt. Er mochte die Spange nicht und nahm sie immer wieder raus.

Eines Tages kam er schreiend in die Küche gelaufen, und rief:

„Ich hab meine Zahnspange verloren.“

Da er einen roten Mund hatte, wusste ich gleich, dass er Johannisbeeren im Garten gegessen hatte. Wegen der Kerne hatte er wohl die Klammer heraus genommen. Das sagte er aber nicht.

Weil die Spange ziemlich wertvoll war, schickte Mutter uns drei in den Garten zum suchen. Echt blöd, ich hatte doch nichts verloren.

Aber los, zuerst bei den Johannisbeersträuchern: nichts!

Dann beim Rosenbeet: nichts! Dann beim Sandkasten: nichts!

Meinem Bruder wurde es zu langweilig und er sagte salbungsvoll:

„Ich gehe jetzt zu meinem Altar und bete zum Heiligen Antonius! Der hilft, wenn etwas verloren ist.“

Ich suchte mit meiner Schwester weiter und weiter.

Ganz schön lange, überall.

Da endlich entdeckte meine Schwester die Klammer auf einem Garten-Mäuerchen.

Stolz gingen wir in die Küche zu Mutter:

„ Wir haben die Zahnklammer gefunden!“

Mein Bruder kam dazu: „Seht ihr, der Heilige Antonius hat geholfen!“

Ich war innerlich ganz schön wütend. Der stellt sich vor seinen Altar und murmelt Gebete, und wir können die ganze Zeit suchen.

Aber dann fiel bei mir der Groschen, ich hatte es kapiert.

Du brauchst nichts zu tun, wenn du die Heiligen anrufst.

Ganz schön faul!

Aber ich wollte das mit den Heiligen nicht.

Ich habe lieber immer was getan und gemacht.

Auch heute noch rufe ich nicht den Heiligen Isidor an, wenn das Internet nicht funktioniert, und bei Sturm nicht die Heilige Eurosia.

Ich habe lieber das Haus gesichert und etwas gegen den Klimawandel getan.

Abgesehen davon, dass ich immer auf meinen Energieverbrauch geachtet habe, habe ich auch im Herbst 2021 mein Kreuz für den Klimaschutz gesetzt.

Zur Startseite


Mehr Zukunftsgeschichten

Ein Tag im Jahr 2035

Ein wunderschöner Frühlingstag in einer menschlicheren, vielfältigeren Welt mit viel mehr Miteinander und weniger Hektik…
Weiterlesen …

Zwischenbilanz 2035

Welche politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen führen in eine nachhaltige Gesellschaft? Ein Rückblick von Uwe
Weiterlesen …

Sommer am See

Ein Ausflug nach Lützerath und die Erinnerung an frühere Proteste… Eine Erzählung von Katharina
Weiterlesen …

Hinterlasse einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.