Warum wir weniger arbeiten

Da wir heute – nach der Großen Klimawende – den Zweck der Wirtschaft darin sehen, mit möglichst wenigen materiellen Dingen ein möglichst großes Wohlbefinden für alle zu erreichen, verbrauchen wir nicht nur weniger Ressourcen, sondern können auch weniger arbeiten.

Unsere Produkte sind auf Langlebigkeit ausgerichtet und so designt, dass sie möglichst leicht zu reparieren sind. Wenn Produkte doppelt so lange halten, muss nur die Hälfte davon hergestellt werden. Viele Produkte teilen wir. Eine Waschmaschine z.B. reicht für zwei oder drei Haushalte, drei Bohrmaschinen und Werkzeugkoffer für ein ganzes Mehrfamilienhaus. Gemeinschaftsräume erlauben kleinere individuelle Wohnungen. Wir haben viele Produkte, die gemeinsam genutzt werden. Ein Zug mit 124 Sitzplätzen[1] braucht weniger Arbeit zur Herstellung als 108 Autos[2].

Auch auf dem Land wohnen wir heute zum großen Teil in Mehrfamilienhäusern. So bleibt mehr Fläche, die für Landwirtschaft oder Erholung genützt werden kann oder wild wuchern darf, damit Artenvielfalt erhalten bleibt. 

Alle Industrieprodukte und Bauten werden so designt, dass sie, wenn sie nicht mehr funktionieren und auch nicht repariert werden können, leicht in ihre Grundmaterialien zerlegt werden können, damit diese wiederverwendet werden können. Das spart nicht nur Rohstoffe, sondern auch die Arbeit zur Rohstoffgewinnung. Da wir Produkte möglichst aus der Nähe benutzen, sparen wir nicht nur Energie, sondern auch Arbeit beim Transport.

Dazu kommt die steigende Produktivität. Der materielle Fortschritt der Menschheit beruht darauf, dass durch Jahrtausende und Jahrhunderte mit immer weniger Arbeit immer mehr erzeugt werden konnte. Über Jahrtausende arbeiteten über 90 Prozent der Menschheit in der Landwirtschaft. Am Beginn des 21. Jahrhunderts ernährte nur mehr ein Viertel der Bevölkerung den Rest der Welt. In Europa genügten gar nur 4 Prozent um ganz Europa zu ernähren[3]. Ein weiteres Viertel der Menschheit arbeitete in der Industrie und erzeugte Dinge.

Der Rest arbeitete im sogenannten Dienstleistungssektor. Doch das waren nur zum geringen Teil Dienstleistungen an Menschen wie Pflege, Heilung, Körperpflege, Unterricht, Kultur usw.  Ein großer Teil dieser Menschen war mit dem Verkaufen der Güter beschäftigt, mit ihrem Transport und mit der Verrechnung und Verwaltung der Geldflüsse.

Zwischen dem Ende des 19. und dem Beginn des 21. Jahrhunderts stieg die Produktivität der Arbeit jedes Jahr um 2 Prozent. D. h., die Güter, die wir 1995 in einer Stunde produzierten, konnten wir 2021 in einer halben Stunde herstellen. Das führte dazu, dass es 2020 bereits mehr menschengemachte Dinge auf der Welt gab als Pflanzen, Tiere und Menschen.

Vor der Großen Klimawende führte Produktivitätssteigerung entweder dazu, dass mehr Dinge erzeugt und verkauft wurden. Oder, wenn die Dinge nicht verkauft werden konnten, wurden überflüssige Arbeitskräfte abgebaut, es stieg also die Arbeitslosigkeit. 

Seit der Großen Klimawende steigt die Produktivität weiter, durch Digitalisierung und Roboterisierung sogar schneller als früher. Doch heute führt dieser Fortschritt nicht dazu, dass mehr Dinge erzeugt werden oder Menschen Arbeit und Einkommen verlieren, sondern dass wir weniger arbeiten.

Heute arbeiten global nur mehr 10 Prozent der Menschen in der Landwirtschaft und 10 Prozent in der Industrie. 20 Prozent sind mit Transport und Verteilung der Güter beschäftigt. Der Großteil der Menschen ist heute mit echten Dienstleistungen für Menschen beschäftigt: Mit Forschung, Lehre und Unterricht, mit Gesunderhaltung Pflege und Heilung, mit Körperpflege und Sport, mit Kunst und Kultur.

Hier ergab sich zur Zeit der Großen Klimawende freilich ein Problem: Durch die weltweite Regulierung der Wirtschaft hin zu  langlebigeren, reparierbaren, recycelbaren und geteilten Gütern – also insgesamt einfach zu weniger Gütern –, wurden viele Geschäftszweige und ganze Industrien  unprofitabel. Normalerweise fließt in so einem Fall das Kapital in neue Geschäftszweige. Das ist auch damals geschehen. Doch die Sache hatte einen Haken: Gewinnorientierte Unternehmen, die miteinander in Konkurrenz stehen, müssen ihre Produktivität ständig steigern, um im Wettbewerb nicht unterzugehen.

Wie geht das bei Humandienstleistungen? Nun, man kann ein Krankenhaus rationalisieren, indem man z.B. Speisen und Medikamente durch Roboter austeilen lässt. Man kann eine Schule rationalisieren, indem man die Klassen vergrößert, oder indem man den Unterricht immer mehr comupterisiert. Doch das war nicht der Weg, den wir gehen wollten. Also kamen als „Arbeitgeber“ für Humandienstleistungen nur nicht-gewinnorientierte Institutionen in Frage, wie Genossenschaften, Gemeinden, Städte oder auch Staaten.

Soziale Sicherheit bieten heute viele Dienstleistungen und Güter, die von gesellschaftlichen Gemeinden oder vom Staat zur Verfügung gestellt werden: Gesundheitswesen und Medikamente, Bildungswesen, öffentlicher Verkehr und Kommunikationseinrichtungen sind gratis, auch Sportstätten und Kultureinrichtungen, Student*innenheime oder Unterkünfte für Menschen, die auswärts arbeiten. Schulkinder bekommen gratis Mittagessen, auch in den Mensen und in vielen Betrieben ist das Essen gratis. Durch solche  Gemeinschaftsküchen wird Energie gespart und Lebensmittelvergeudung vermieden und die Hausarbeit verringert.

Zusätzlich zu all diesen Leistungen gibt es ein staatlich garantiertes Mindesteinkommen, das Pensionen für ältere und arbeitsunfähige Menschen und Menschen in Ausbildung garantiert. Da Erwerbsarbeit viel weniger Zeit in Anspricht nimmt als früher, wird schon erwartet, dass alle, die arbeiten können, es auch tun.

prof.m.auer


[1]     City-Shuttle

[2]     Durchschnittliche Belegung von Autos in Österreich: 1,15 Personen: https://www.vcoe.at/presse/presseaussendungen/detail/20181206-autoverkehr-oesterreich-30-jahre#:~:text=Die%20Anzahl%20der%20Insassen%20pro,die%20Autos%20in%20%C3%96sterreich%20gefahren .

[3]     Europa importiert zwar Nahrungsmittel, exportiert aber fast genau so viel: https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/-/EDN-20171016-1#:~:text=In%202016%2C%20the%20European%20Union,food%20outside%20of%20its%20borders .

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